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Bistum Münster

Das Schlickelder Hungertuch

in der Kirche St. Mariä-Himmelfahrt, Mettingen-Schlickelde

Das Schlickelder Hungertuch in der Kirche St.-Mariä-Himmelfahrt mit Altar und Kirchenbänken
Das Schlickelder Hungertuch aus nächster Nähe

Die Entstehung des Hungertuches

„Von 1993 bis 1995 haben wir 1 1/2 Jahre in fast 2.000 Arbeitsstunden daran gestickt“, erinnert sich Margret Bruns an die schöne Zeit. Gemeinsam mit Hildegard Bienert, Emmi Kempe, Marianne Ostendorf, Josepha Tietmeyer (†) und Mathilde Tietmeyer fertigten sie das 3,60 x 6,30 Meter große Hungertuch an.


Die Idee, durch ein besonderes Tuch in der Fastenzeit das große Kreuz in der Schlickelder Kirche zu verhüllen, hatten der damalige Pfarrer Uwe Nachtwey und einige Mitglieder der kfd St. Mariä-Himmelfahrt. Wichtig war den Verantwortlichen damals, dass das Hungertuch zu Schlickelde passte und viele Bilder und Bibelstellen auf die Gottesmutter Maria ausgerichtet wurden. Dazu wählte Pastor Nachtwey neun weitere Psalmverse aus dem Alten Testament aus. Das Hungertuch hat somit 18 Bilder mit Bibelversen aus dem Alten und Neuen Testament. 

Die Schlickelder Paramentengruppe konnte damals Karin Düsing (†) aus Hörstel gewinnen, die die Entwürfe für die Stickarbeiten anfertigte. Die im Jahr 1993 mit dem Brauchtumspreis des Kreises Steinfurt „für ihre Verdienste um die Tradition der Weißstickerei" ausgezeichnete Expertin aus dem Münsterland überlegte gemeinsam mit den Frauen der Stickgruppe und Pfarrer Nachtwey, wie das Tuch für die Kirche aus den 1950er Jahren zu gestalten sei. Gleich ihre ersten Entwürfe fand bei allen großen Zuspruch. Die Designerin wusste, dass Pastor Nachtwey eher modern eingestellt war und fertigte die Zeichnungen entsprechend. 

Das Material, darüber waren sich alle Beteiligten einig, sollte wie früher altes, handgesponnenes und handgewebtes Bauernleinen sein. Die Stickereien sollten im Goldton den Farben der Kirche angepasst sein, wie es in der IVZ im Jahr 1995 zu lesen ist.

Jeden Montagnachmittag traf sich die Paramentengruppe im Schlickelder Jugendheim zum Sticken. Die Frauen einigten sich, gemeinsam mit Frau Düsing, auf die Toledo-Sticktechnik. „Dabei haben wir die alte Stickart in moderne Designs umgesetzt“, erzählt Margret Bruns. Durch diese besondere Stickart konnten Elemente der biblischen Bilder besonders dargestellt werden. Haare bekamen Strukturen nach unten, Kragen der Frauen erhielten unterschiedlichste Designs, Türen wurden durchsichtig, Ähren haben einen Kern, Sterne und Sonnen lassen das Licht durchbrechen und Engelflügel wurden lebhaft dargestellt.

Auf einer Größe von fast 23 Quadratmetern entstand so eine Gemeinschaftsstickarbeit nach alter Tradition mit theologischen Bildern. Schachbrettartig wurden die 36 Leinentücher angeordnet, zunächst mit der Nähmaschine und später mit der Hand vernäht: die 18 schlichten, mit einem Doppelrand bestickten Tücher und die 18 Tücher mit Motiven aus dem Leben Mariens und aus den Psalmen.

Viel Anerkennung ernteten die sechs Frauen um Frau Düsing, weil sie es vorzogen, in Gemeinschaft nachmittags das Tuch zu erstellen - und das in so kurzer Zeit.

Seit 1995 hängt das Fastentuch stets von Aschermittwoch bis Karsamstag in der St.-Mariä-Himmelfahrt-Kirche und verhüllt das große hölzerne Kreuz, welches seit 1960 im Altarraum hängt. Das Kreuz stammt ursprünglich aus St. Ludwig in Ibbenbüren. Den Korpus spendete die Familie Textilhaus Brüggen. Das Kreuz ist aus Hartholz (Spurlatten aus dem Oeynhausenschacht) und wurde von einem Osnabrücker Künstler angefertigt. Die Holzenden zieren die vier Evangelistensymbole.

Das Schlickelder Hungertuch

ein textiles Glaubenszeugnis 

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Gesticktes Bild im Hungertuch: Aus dem goldenen „M“ für Maria bricht die runde Hostie hervor, auf der das Kreuz steht.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Ein großes M für Maria und darüber eine Krone. Dahinter das Kreuz.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Der Verkündigungsengel besucht die Jungfrau Maria,
dargestellt durch das M mit dem Kreuz. Der Engel legt einen Flügel um die marianischen Symbole.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Ein Tor, darüber Strahlen und eine Krone, dahinter das Kreuz.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Auf dem Bild zu sehen ist die Gebärmutter, in der das Kind heranwächst.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Drei Wellen symbolisieren in diesem Bild die Quelle des Lebens und die Sonne wird zum Zeichen für das Licht es Herrn.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Ähren und Trauben
Gesticktes Bild im Hungertuch: Das Bild zeigt den Himmel bei Nacht und den Regenbogen bei Tag, als Zeichen des Bundes mit den Menschen.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Glaube (Kreuz), Hoffnung (Anker) und Liebe (Herz), die drei Grundtugenden des christlichen Glaubens zeigt dieses Bild.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Ein Weg führt in die Weite, der Sonne entgegen.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Die Mutter Gottes hält den König des Friedens in ihren Armen geborgen.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Das Bild zeigt uns einen Ölbaum, der sich um das Kreuz Christi legt, ihn kleidet und sich selbst stützen lässt durch das Kreuz.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Das Bild zeigt drei unterschiedliche Wasserkrüge.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Ein typisches Zelt aus dem Orient. Daneben ragen die ersten Felsspitzen empor mit einigen Bäumen.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Zart bricht die Sonne durch den Felsspalt und bringt Licht ins Dunkel. Links und rechts stehen Tannenbäume.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Vier Menschen stehen vor dem Kreuz des Herrn
Gesticktes Bild im Hungertuch: Das Bild zeigt uns eine Kirche und die eingestickten Namen K.Düsing, Pfr. Nachtwey und Anno 1993
Gesticktes Bild im Hungertuch: Ein Herz wird von einem Schwert durchstoßen. Im Hintergrund ein Kreuz. Darunter ein Bibelvers und die Namen der Stickerinnen.

Bedeutung des Hungertuches

Ein Hungertuch wird auch als Fastentuch, Fastenvelum, Palmtuch, Passionstuch oder Schmachtlappen bezeichnet. Es dient zur Verhüllung der bildlichen Darstellungen Jesu während der Fastenzeit. Der Ursprung liegt vermutlich im jüdischen Tempelvorhang begründet. Mehrfach wird im Neuen Testament der Tempelvorhang im Zusammenhang mit dem Tod Jesu Christi am Kreuz erwähnt.

Bereits im 9. Jahrhundert wurden wohl schon Fastentücher verwendet. Normalerweise ist das Fastentuch ein schlichtes oder in Weißstickerei gefertigtes, auch mit biblischen Motiven versehenes Tuch.

Durch das Fastentuch soll dem Osterfest ein noch stärkerer Glanz verliehen werden. Die Abnahme des Fastentuches am Ende der österlichen Bußzeit soll zeigen, dass Jesus wieder unverhüllt in seiner Göttlichkeit vor den Menschen steht und er den Himmel für uns geöffnet hat.

Lange Zeit hatten „Schmachtlappen“ die Funktion, die Gemeinde optisch vom Altarraum zu trennen. Somit konnten die Gläubigen das Geschehen des Gottesdienstes nur hörend verfolgen. Es wurde mit den Augen gefastet, dies war eine Bußübung für die Gläubigen in der Fastenzeit. Darauf geht auch die alte Redewendung »am Hungertuch nagen« zurück und bezieht sich somit nicht nur auf materielle Armut, sondern auch auf die optisch erzwungene scheinbare Gottferne.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Ein Herz wird von einem Schwert durchstoßen. Im Hintergrund ein Kreuz. Darunter ein Bibelvers und die Namen der Stickerinnen.
Gesticktes Bild im Hungertuch: Kirche und Bibelspruch. Darunter die Namen K.Düsing u. Pfr.Nachtwey Anno 1993

"Vom Volk für das Volk geschaffen"

Karin Düsing umschrieb das „Schlickelder Hungertuch“ mit reiner Volkskunst. „Vom Volk für das Volk geschaffen“, so die Künstlerin in einem Interview 1995.

Die marianischen Verse aus den Evangelien sowie die Psalmen wurden jeweils unter die Bilder gesetzt. Als Schriftart wählte die Stickgruppe der Frauengemeinschaft (kfd-St. Mariä-Himmelfahrt) die Schreibschrift, da diese vom Kirchenraum her besser lesbar sei. 

Für die späteren Generationen sind in den beiden rechten Bildern in der unteren Reihe, neben den Namen der sechs Frauen der Paramentengruppe, auch die Namen von Pastor Uwe Nachtwey, der Künstlerin Karin Düsing sowie der Schriftzug „Anno 1993 – 1995“ verewigt.

Das Schlickelder Hungertuch sollte nicht das sonst typische zentrale Motiv aus der Leidensgeschichte Jesu zeigen.

„Es möchte uns Gläubigen durch die Mutter des Herrn den Weg zu Jesus ebnen und durch die Psalmverse unseren Glauben vertiefen“, so Pastor Timo Holtmann, der den sechs Schlickelder Frauen sehr dankbar für ihre besondere Arbeit am „Schlickelder Hungertuch“ ist.
Fotos und Texte: Claudia Keller

#09.03.2021
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